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Tor, Tor, Toooor!

Von Sportwetten und der Fußball-EM


Photo by Jimmy Conover on Unsplash

Ich gebe zu, ich bin kein Fußballfan. Ich weiß nie, welches Team welches ist (die Farben sich auch kompliziert, finde ich). Und was genau ein „Abseits“ bedeutet, wurde mir wahrscheinlich schon hundert Mal erklärt. Ich habs immer noch nicht verstanden.


Und trotzdem. Sobald eine Europa- oder Weltmeisterschaft beginnt, dann schau ich auch. Und nicht nur das. Ich fange an, zu wetten.


Vor ein paar Jahren taten sich meine KollegInnen und ich zusammen und wir starteten einen Büro-Wettbewerb zur Weltmeisterschaft. Wir tippten auf die einzelnen Spiele, bekamen Punkte für richtige Tipps und der Gewinner erhielt am Ende den Wetteinsatz (soweit ich mich erinnern kann, waren es fünf Euro pro Person).

Ich war nicht die Gewinnerin. Im Gegenteil. Ich habe so unglaublich hart verloren, dass mir meine Chefin als Trostpreis einen Kakao spendiert hat.

Ich weiß nicht einmal mehr, ob ich überhaupt einen einzigen Tipp richtig hatte – in der gesamten Weltmeisterschaft.


Mein Verlust hat sich recht früh abgezeichnet, und trotzdem habe ich weiter getippt. Und irgendwann fanden es manche meiner KollegInnen schon so lustig, dass meine Tipps immer falsch waren, dass sie gewartet haben zu sehen, auf was ich tippe, um dann das andere Team / eine andere Toraufstellung zu wetten. Ich finde, so falsch tippen zu können, ist auch ein Talent.


So wie ich damals, und auch heute, bei der momentanen EM, geben hunderttausende Menschen online, oder in Kleingruppen, Wetttipps ab. Und manche dieser Menschen liegen, zumindest gefühlt, immer richtig. Aber warum eigentlich? Und kann man das „gute Wetten“ lernen?


Recherche

Mein erster Fehler war, dass ich mich wirklich und komplett überhaupt nicht ausgekannt habe. Ich habe mich weder über die Teams und Teamaufstellungen informiert, noch habe ich mir Statistiken angeschaut.

In meinem Fall war es ein einziges Chaos – „Der Spieler da sieht sympathisch aus, setzen wir mal auf das Team“, „Oooooh, die blauen Trikots sind aber fesch, dann tipp ich mal auf die.“

Man sieht, das war offenbar die falsche Strategie.


Photo by Izuddin Helmi Adnan on Unsplash

Sportwetten sollten nie aus dem Bauch heraus entschieden werden. Man braucht zumindest ein rudimentäres Verständnis vom Spiel und sollte wissen, welche Mannschaften oft gewinnen und welche Teammitglieder in welcher Position schon Erfolge erzielt haben.

Das Tippen nach rationalen und objektiven Kriterien zeichnet die erfolgreichsten Wett-GewinnerInnen aus.

Das ist aber viel schwieriger als es klingt.

Es mag uns so vorkommen, als würden wir objektiv handeln, wenn wir es eigentlich gar nicht tun. So viele Dinge beeinflussen den Entscheidungsprozess – und so viele davon nehmen wir nicht bewusst wahr. Unsere Emotionen wirken konstant auf uns ein und die verschiedenen Aspekte unserer Persönlichkeit tun das auch.


Um ein wenig spezifischer zu sein: Unsere Gehirne sind auf „kognitive Voreingenommenheit“ ausgerichtet. Voreingenommenheit und Vorurteile können uns im Wesentlichen dazu zwingen, irrational und unlogisch zu denken. Sie sind von Natur aus Teil unserer Psyche und können einen großen Einfluss darauf haben, wie wir Informationen interpretieren, wie wir handeln und wie wir Entscheidungen treffen.


Auf ein paar davon gehe ich jetzt genauer ein.


Desirability Bias = Soziale Erwünschtheit

Soziale Erwünschtheit wird so definiert, dass die betroffene Person dazu tendiert, nicht die für sie tatsächlich zutreffende Antwort zu geben, sondern diejenige, von der sie erwartet, dass sie sozial gebilligt oder erwünscht ist.

Foto: APA/EPA/Mihailescu

Klingt etwas kompliziert, soll aber im Endeffekt heißen, dass diejenigen, die auf Fußballspiele setzen, meistens auch Fans sind und dementsprechend Lieblingsmannschaften und -spieler haben. Sie haben wahrscheinlich auch Teams und Spieler, auf die sie lieber verzichten würden.



Das ist natürlich für einen Fußballfan völlig in Ordnung, kann aber aus einer Wettperspektive zu Problemen führen.

Soziale Erwünschtheit wirkt sich auf Wetten so aus, dass wir tendenziell auf das setzen, was wir uns wünschen. Es ist im Grunde ein wissenschaftlicher Begriff für „Wunschdenken“. Egal ob es bewusst oder unbewusst passiert, wir alle fallen einmal darauf rein.


Glücklicherweise gibt es einen Trick, wie man die negativen Auswirkungen von sozialer Erwünschtheit verhindern kann:

Nicht bei Spielen wetten, bei denen die Lieblingsteams teilnehmen!

Das ist eine simple, aber effektive Lösung. Das heißt natürlich, dass man ein paar Wettchancen verpasst, aber im Endeffekt kann man dann die emotional geladenen Spiele wirklich genießen und muss sich nicht doppelt ärgern, wenn das Lieblingsteam verliert.

Zusatztipp: man sollte auch dann nicht wetten, wenn das Team spielt, das man wirklich gar nicht mag.


Verlustaversion

Es kommt sicher nicht als Überraschung, dass wir Menschen nicht gerne verlieren. Aber was manche vielleicht nicht wissen ist, dass wir signifikant weniger gern verlieren, als wir gerne gewinnen.

Foto: imago images/Moritz Müller

Wir mögen das Verlieren sogar so wenig, dass wir alles daran setzen, den Verlust zu vermeiden. Und das kann unser Einschätzungsvermögen drastisch verschlechtern. In der Theorie verhindert diese Verlustaversion, dass wir uns leichtsinnig verhalten, aber es kann auch dazu führen, dass wir wirklich schlechte und unlogische Entscheidungen treffen.



Hier ein Beispiel: Ich kaufe mir ein neues Haushaltsgerät, das zwei Jahre Garantie hat. Beim Kaufabschluss werde ich gefragt, ob ich eine Zusatzgarantie kaufen möchte. Obwohl diese verlängerte Garantie höchst wahrscheinlich nicht wirklich etwas bringen wird, habe ich solche Angst davor, das neue Gerät zu „verlieren“ (also, dass es nicht mehr funktioniert), dass ich bereit bin, von vorhinein einen höheren Preis zu bezahlen als nötig, um diesen Verlust zu verhindern.


Verlustaversion beeinflusst uns beim Wetten in einer von zwei Arten: Entweder wir tendieren dazu, die „sicherere“ Option zu wählen, oder wir sind entschlossen, den Verlust, den wir bereits erfahren haben, wieder wettzumachen.


Verlustaversion ist auch der Grund, warum viele Menschen auf das Favoritenteam setzen. Wir glauben unbewusst, dass wir die beste Chance auf einen Gewinn haben, wenn wir uns hinter die offiziellen Favoriten stellen, was natürlich auch nicht immer stimmen muss, vor allem im letzten Abschnitt einer Meisterschaft.

Oder aber wir krallen uns innerlich an irgendeinem Team fest und setzen immer wieder darauf, auch wenn es bereits verloren hat, nur damit wir dann sagen können, dass wir ja gewusst hätten, dass sie irgendwann gewinnen würden. (I'm looking at you, Japan!)


Erfolgreiche FußballwetterInnen neigen dazu, extrem diszipliniert zu sein und damit schaffen sie es, diesen Instinkt zu überwinden. Wettende, die nicht so diszipliniert sind, können jedoch impulsiv handeln und beginnen dann, ihren Verlusten nachzujagen.

Das nicht zu tun, ist natürlich leichter gesagt als getan. Der Schlüssel besteht darin, uns selbst sehr strenge Regeln zu setzen (wie viel setze ich wann), und uns dann auch wirklich daran zu halten.


Anchoring Effect = Ankereffekt

Man möchte es kaum glauben, aber wir Menschen tendieren gerne dazu, die erste Information, die wir erhalten, für bare Münze zu nehmen. Uns sagt zum Beispiel irgendwer, vielleicht lange vor Start der EM, dass Italien das beste Team ist. Wir speichern diese Information unbewusst ab und als wir dann unsere Wetten platzieren, setzen wir, ohne groß darüber nachzudenken, auf Italien. Egal, ob das Team wirklich „das Beste“ ist oder nicht.


Confirmation bias = Bestätigungstendenz


Photo by GETSLOWER on Unsplash

Und schließlich gibt es dann noch die so genannte Bestätigungstendenz. Die besagt, dass bei einer gemachten Hypothese bevorzugt Informationen gesammelt und verarbeitet werden, die genau diese Hypothese auch bestätigen.

Ich glaube also zum Beispiel, weil mir das mal wer gesagt hat, dass Italien die EM gewinnen wird. Jeder Gewinn der Mannschaft bestätigt diesen Glauben. Jeder Verlust wird ignoriert oder heruntergespielt – „Die Mannschaft hatte einen schlechten Tag.“ „Der Trainer hätte Spieler XY einsetzen sollen.“ Etc.

Das machen wir komplett unabsichtlich und leider gibt es hier auch keinen Trick, um diese Tendenz zu umgehen. Das Einzige, was wir dagegen tun können ist, zu erkennen, wenn wir davon betroffen sind und dann bewusst einen Schritt zurückzutreten.




Das war jetzt sehr viel Theorie, ich weiß. Und eigentlich ist das auch nicht alles, was uns bei unseren Wettentscheidungen beeinflussen kann. Aber es ist ein Anfang, um den Entscheidungsprozess zu verstehen.


 

Kurz zusammengefasst können also folgende Tipps zu positiveren Wettergebnissen führen:

  • Halbwegs objektive Recherche betreiben

  • Nicht bei Spielen wetten, in denen die Lieblingsmannschaft mitspielt

  • Nicht versuchen, Verluste krampfhaft wieder wett zu machen

  • Ein Limit an Wetteinsetzen setzen

  • Einen Schritt zurückmachen, wenn man merkt, dass man sich auf eine Mannschaft verbeißt

 

Ich übernehme hier natürlich keine Verantwortung für einen guten Ausgang. Und im Endeffekt soll das Spielen und das Wetten einfach Spaß machen. Auch Geld zu setzen, ist nicht nötig. Wenn man sein Glück versuchen will, kann man das in einer Kleingruppe ebenfalls machen – als Wetteinsatz (falls nötig) reicht auch etwas Immaterielles. Oder man wettet "auf die Ehre!" - das macht genauso viel Spaß!


 

Bitte Achtung: Falls Sie sich in einer Situation befinden, in der Sie mehr und öfter wetten, als Sie woll(t)en, und auch abseits eines Großereignisses ein dringendes Bedürfnis haben, viel Geld auf irgendwelche Spiele zu verwetten, könnten Sie ein Problem entwickelt haben. In diesem Fall melden Sie sich gerne direkt bei mir – ich verweise Sie dann an geeignete, darauf spezialisierte Stellen, falls ich Ihnen nicht direkt helfen kann.

 

Und ich? Ich kenne mich selbst mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass ich nicht zu einer Wettkoryphäe werden werde. Und weil Österreich jetzt seit 1953 zum ersten Mal die Gruppenphase „überlebt“ hat, werde ich alle meine eigenen Ratschläge in diesem Artikel gekonnt ignorieren, und trotzdem auf uns setzen. So halt.




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